Am 17.12.2019 wurde dem Regierungspräsidium Karlsruhe als zuständiger Aufsichtsbehörde von der amtlichen Messstelle mitgeteilt, dass zwei Dosimeter einer Firma, die im Bereich der zerstörungsfreien Materialprüfung tätig ist, Dosiswerte von 30 beziehungsweise 100 Millisievert aufwiesen. Die Firma war zu diesem Zeitpunkt noch davon ausgegangen, dass es sich um einen Fehler handelte.
Nachdem die Erklärung der Firma nach Prüfung nicht in allen Teilen plausibel war, sprach das Regierungspräsidium Karlsruhe am 7.1.2020 für die beiden betroffenen Mitarbeiter vorsorglich ein Beschäftigungsverbot als strahlenexponierte Personen aus und ordnete eine medizinische Untersuchung an. Nach Auswertung der Untersuchungsergebnisse, Eingang 7.2.2020, wurde deutlich, dass es zu einem ungeplanten Vorfall mit hoher Strahlenexposition gekommen war. Die beiden Mitarbeiter hatten unter Missachtung der vorgeschriebenen Schutzvorschriften Prüfungsvorbereitungen in einem Strahlenschutzlabor durchgeführt und dabei nicht bemerkt, dass die Strahlenquelle nicht in ihrer dafür vorgeschriebenen abgeschirmten Position war. Die beiden Personen erhielten eine Dosis von 100 Millisievert beziehungsweise 30 Millisievert. Der in der Bundesrepublik Deutschland geltende Jahresgrenzwert für die effektive Dosis für beruflich exponiertes Personal von 20 Millisievert war in beiden Fällen überschritten.
Weitere Personen waren nicht betroffen, es kam zu keiner Freisetzung von radioaktiven Stoffen in die Umwelt.
Der Vorfall wurde am 7.2.2020 als bedeutsames Vorkommnis dem Umweltministerium Baden-Württemberg gemeldet. Da der festgelegte Jahresgrenzwert der Strahlenexposition für beruflich exponierte Personen weit überschritten war, wurde der Vorfall nach der Internationalen Nuklearen und Radiologischen Ereignisskala (INES) vom Umweltministerium vorläufig in die Stufe 2 (Störfall) eingeordnet und dem Bundesumweltministerium gemeldet.
Die Firma hat inzwischen erste Maßnahmen ergriffen, um eine Wiederholung sicher auszuschließen. Weitere technische, personenunabhängige Maßnahmen zum Schutz der Mitarbeiter werden ergriffen. Die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens wird derzeit geprüft.
Hintergrundinformationen
Die Gammaradiographie ist eine Methode zur zerstörungsfreien Prüfung von Werkstoffen, zum Beispiel bei der Überprüfung von Schweißnähten in Rohrleitungen. Hierfür wird die Strahlung, die von einer radioaktiven Quelle ausgeht, genutzt. Ähnlich wie beim Röntgen wird dabei die Strahlung beim Durchgang durch das zu prüfende Material in Abhängigkeit von der lokalen Struktur und Dichte unterschiedlich abgeschwächt und trifft hinter dem Material auf einen Röntgenfilm, der ausgewertet wird. Seit 2015 sind neben meldepflichtigen Ereignissen in Kernkraftwerken auch strahlenschutzrelevante Vorkommnisse in Medizin, Forschung und Technik nach der 7-stufigen Internationalen Nuklearen und Radiologischen Ereignisskala (INES) zu bewerten. Ab INES-Stufe 2 werden die Vorkommnisse an die Internationale Atomenergie-Organisation (International Atomic Energy Agency IAEA) weitergeleitet. Die INES-Einstufung erfolgt im Bereich des Strahlenschutzes im Wesentlichen nach den Kriterien „Auswirkungen auf Mensch und Umwelt“, „Beeinträchtigung von radiologischen Barrieren und Überwachungsmaßnahmen“ und „Beeinträchtigung von Sicherheitsvorkehrungen“. Beispielsweise wird die INES-Stufe umso höher, je größer die Strahlenexposition und/oder je größer der betroffene Personenkreis ist. Vorkommnisse mit radioaktiven Quellen, die in der Medizin oder Technik eingesetzt werden, können höchstens zu der INES-Stufe 5 führen. Die Einordnung eines Ereignisses in die INES-Skala hat eine rasche und für die Öffentlichkeit verständliche Bewertung eines Ereignisses zum Ziel.
Die INES-Skala, die ursprünglich für Vorkommnisse in Kernkraftwerken entwickelt wurde, umfasst 7 Stufen:
0 Unterhalb der Skala
1 Störung, z. B. Überschreiten des Jahresgrenzwerts der effektiven Dosis für eine Einzelperson der Bevölkerung
2 Störfall, z. B. Überschreiten des Jahresgrenzwerts der effektiven Dosis für 10 Einzelpersonen der Bevölkerung oder einer beruflich strahlenexponierten Person
3 Ernster Störfall, z. B. Überschreiten des Jahresgrenzwerts der effektiven Dosis für mehr als 100 Einzelpersonen der Bevölkerung oder Auftreten eines nicht-tödlichen deterministischen Schadens einer Person, z. B. Hautverletzung
4 Unfall mit örtlich begrenzten Auswirkungen, z. B. Überschreiten des 10-fachen des Jahresgrenzwerts der effektiven Dosis für mehr als 100 Einzelpersonen der Bevölkerung oder mindestens ein Todesfall durch Strahlenexposition
5 Unfall mit weitergehenden Auswirkungen, z. B. mehrere Todesfälle durch Strahlenexposition
6 Schwerer Unfall
7 Katastrophaler Unfall