Pressemitteilung

Bau- und Kunstdenkmalpflege: Vom Jagdhundefriedhof im Esslinger Stadtwald bis hin zum ersten Plusenergiehaus der Welt in Freiburg

Landesamt für Denkmalpflege stellt neue Kulturdenkmale des Jahres 2022 vor

Kilchberg, Obstschützenhaus

Rund 90.000 Objekte sind in Baden-Württemberg als Baudenkmale erfasst. 2022 kamen einige neue Kulturdenkmale hinzu. Das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart stellt mehrere Beispiele vor – vom traditionellen Obstschützenhaus bei Tübingen bis zum ersten Plusenergiehaus der Welt in Freiburg. Die Neuzugänge repräsentieren dabei die große Bandbreite des baulichen Erbes in Baden-Württemberg und dokumentieren exemplarisch die Arbeit der Denkmalerfassung, die neben der Überarbeitung und Pflege der bisherigen Denkmallisten auch Forschungsprojekte zur Erfassung jüngerer Architekturepochen umfasst.

Begleitend zur großen Jubiläumsausstellung „Bauen für eine offene Gesellschaft“ zum Werk des Architekten Günter Behnisch (1922-2010) in Stuttgart, hat das LAD zwei seiner Werke als Kulturdenkmale erfasst. Die Sporthalle auf der Korber Höhe in Waiblingen von 1970 zeigt ebenso das facettenreiche Schaffen des international renommierten Architekten wie der Kindergarten „Schiff im Weinberg“ in Stuttgart-Luginsland von 1987/90.

Zwei Wohnhäuser veranschaulichen ebenfalls das Bauen und Wohnen der 1970er Jahre: Beide Objekte entstanden fast zeitgleich 1976 beziehungsweise 1978 und könnten doch von der architektonischen Gestaltung unterschiedlicher nicht sein. In Gerlingen baute in Panoramalage an der Schillerhöhe der renommierte Architekt Arno Lederer, der später mit dem Büro Lederer Ragnarsdóttir Oei zahlreiche Projekte nicht nur in Baden-Württemberg realisierte, sein „Erstlingswerk“. Das Haus nutzt ideal die zur Verfügung stehende Fläche in komplizierter Hanglage aus und zeigt in seiner individuellen Gestaltung eindrucksvoll, dass man sich damals intensiv mit den Bedürfnissen der Bewohner auseinandersetzte und keine vorgefertigten Lösungen zur Anwendung kamen. In Knittlingen (Enzkreis) errichtete der aus China stammende Kollege Chen Kuen-Lee eines seiner späten Werke. Das Haus ist ein baukünstlerisch einzigartiges Beispiel der modernen Nachkriegsarchitektur und eine gelungene Symbiose von Haus und Garten. Die beiden Wohnhäuser verdeutlichen exemplarisch den großen Ideenreichtum des Bauens in den 1970er-Jahren.

Passend zur landesweiten Eröffnung des Tags des offenen Denkmals in Esslingen wurde das Behördenzentrum vom renommierten Münchener Architekten Alexander von Branca von 1983/89 als Denkmal erfasst. Die Planung ist beispielhaft für ein neues Bauen im historischen Stadtkern in den 1980er-Jahren. Brancas Behördenzentrum ist ein anschauliches, gut überliefertes Dokument für den Wertewandel der Architektur nach 1975, für das damals neu wertgeschätzte Bauen im Bestand und damit für die Architekturgeschichte des späten 20. Jahrhunderts.

Weitere Bauwerke der 1980er-Jahre, die oft als Epoche der Postmoderne in der Architekturgeschichte bezeichnet werden, wurden vom LAD in die Denkmallisten des Landes aufgenommen. Damit ist das LAD bundesweit führend bei der Inventarisation von Kulturdenkmalen dieser Zeitstellung. Die Schnellfahrstrecke Mannheim-Stuttgart weist zum Beispiel bemerkenswerte neue Bahnhöfe auf: Die Stationen in Vaihingen und in Hockenheim (jeweils 1986/90 vom Büro Schmitt, Kasimir und Partner aus Karlsruhe) und der Haltepunkt Neulußheim (Rhein-Neckar-Kreis) (1984/87 vom Pritzker-Preisträger Gottfried Böhm) sind Zeugnisse dieses großen Infrastrukturprojekts in Deutschland. Die bis 1991 errichtete Neubaustrecke Mannheim-Stuttgart war neben der Linie Hannover-Würzburg eine der ersten beiden Fernbahn-Initiativen der damaligen Deutschen Bundesbahn, zugelassen für den ICE mit bis zu 280 Kilometer pro Stunde.

Ein besonderes Stück „Postmoderne“ ist auch das Brückenhaus mit Restaurant in der Karlsruher Zähringerstraße. 1978-82 nach Plänen der Architekten Gernot Kramer, Rudolf Wiest und Partner errichtet, verbindet die Betonkonstruktion mit ihren kreuzförmigen Tonnendächern die Karlsruher Innenstadt mit dem früheren Stadtteil „Dörfle“. Das in seinem Gestus an fernöstliche Pagodenarchitektur erinnernde Gebäude steht hier für die einschneidenden Flächensanierungen des kleinbürgerlichen Herzens des alten Karlsruhe. Dennoch ist der beinah emblemhafte Bau, der im Zuge übergreifender Maßnahmen dieses Großprojektes entstand, baukünstlerisch markant und gehört zu den gelungensten Hervorbringungen der sogenannten Postmoderne.

Noch jünger ist ein Objekt aus Freiburg: Rolf Dischs Drehsolarhaus von 1994 ist das erste Plusenergiehaus der Welt. Das „Heliotrop“ ist ein mit vielen Ideen ausgestatteter, innovativer und preisgekrönter Beitrag zur Entwicklung des ökologischen Bauens in den 1990er Jahren. Es legt äußerst anschaulich Zeugnis davon ab, dass man in dieser Zeit die aktive und passive Sonnenenergienutzung sowie weitere ökologische Ideen in den Hausbau einfließen lassen und damit auf die endlichen fossilen Energieressourcen antworten wollte. Das Bauwerk im sonnenverwöhnten Südwesten ist überdies ein vielbesuchtes Anschauungsobjekt für Planer in aller Welt und ein erprobter Beitrag für die aktuelle Energiedebatte im Bauwesen.

Bei den Neuausweisungen 2022 findet sich jedoch auch Traditionelles im Denkmalbestand: Das so genannte Obstschützenhäuschen in Kilchberg bei Tübingen, 1834 vom Ortsherren Christian Wilhelm von Tessin gestiftet, ist ein Vertreter einer inzwischen seltenen Bauaufgabe. Besonders in der Reife- und Erntezeit dienten solche Schutzhütten in landwirtschaftlich geprägten Regionen den Obsthütern als Unterstand, während sie die Gefahren für die Ernte, etwa durch Diebstahl oder Futterschaden, abwehrten.

Der Jagdhundefriedhof im Esslinger Stadtwald, 1912 angelegt vom königlich-württembergischen Forstwart Friedrich Wilhelm Hohl, ist ein frühes Beispiel und ein eindrückliches und anschaulich erhaltenes Dokument der Bestattungs- sowie der Jagdkultur im frühen 20. Jahrhundert und damit ein weiteres seltenes und bemerkenswertes Kulturdenkmal in Baden-Württemberg. Bis in die 1970er-Jahre wurde hier an die treuen Weggefährten der Förster erinnert. Die ältesten Grabsteine, umgearbeitete Grenzsteine, stammen von „Wolle“ und „Lisel“, die 1896 bzw. 1907 geboren und beide 1912 begraben wurden.

Zeugnis der Industriekultur im gewerbereichen Baden-Württemberg ist die Walzmühle Wilhelm Menton in Hausen im Wiesental (Kreis Lörrach). Sie ist im späten 19. Jahrhundert aus einer Dorfmühle hervorgegangen und stellt ein typisches Beispiel für die Entwicklung von einer handwerklich betriebenen Wassermühle zu einer leistungsfähigen Industriemühle im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert dar. Die Walzmühle Menton zählte damit zu den wichtigsten Industriemühlen in Südbaden und ist somit auch für die regionale Industrie- und Gewerbegeschichte sehr bedeutend.

Ebenfalls in Zusammenhang mit dem industriellen Erbe steht die Erfassung der Sammlung von Ofenplatten und Modellen der ehemaligen Schwäbischen Hüttenwerke in Aalen-Wasseralfingen (Ostalbkreis). Hier gelang ein unerwarteter Fund: eine Sammlung von mehr als 800 Glasplattennegativen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die die gesamte Produktpalette widerspiegelt – von gusseisernen Brunnen, Denkmälern und Bauplastiken bis hin zu Ziergefäßen, Plaketten und Kleinplastiken.

Moderne Baustoffe wie Backstein und Beton kamen bei einer traditionellen Bauaufgabe bei Rot an der Rot zum Zug: Der Kreuzweg bei Mettenberg (Kreis Biberach) von 1905 verwendet die damals aktuellen Baumaterialien und ist zugleich charakteristisch für die regionale Kulturlandschaft. Er ist Ausdruck einer gelebten und bildlich zum Ausdruck gebrachten Frömmigkeit im überwiegend katholisch geprägten Oberschwaben.

Vom Kleinen zum ganz Großen – neu sind schließlich zwei Gesamtanlagen in Baden-Württemberg, die zu den 110 denkmalgeschützten Stadt- und Ortskernen im Land dazukommen. Der Historische Ortskern des Unterdorfs von Wangen am Bodensee wurde im Juni 2022 durch eine Satzung gemäß §19 des Denkmalschutzgesetzes als Gesamtanlage unter Schutz gestellt. Das jüdisch-christlich geprägte Unterdorf in Wangen hat seinen historischen Ortskern bewahrt und bezeugt in seiner baulichen Überlieferung das ehemals eng verzahnte, gemeinsame Dorfleben. Das Ortsbild des dicht bebauten Siedlungsbereichs wird entlang der Hauptstraße, abgesehen von den regionstypischen landwirtschaftlichen Gehöften, vor allem von den repräsentativen, städtisch geprägten Bauten des wohlhabenden jüdischen Bevölkerungsanteiles geprägt.

Vaihingen an der Enz ist seit September 2022 Gesamtanlage. Die Stadtansicht besitzt mit Schloss Kaltenberg auf einem Bergsporn über der Enz und der unterhalb liegenden bürgerlichen Siedlung mit der Stadtpfarrkirche als Höhepunkt eine große Fernwirkung. Zahlreiche stattliche Bürgerhäuser zeugen von der Bedeutung und dem Wohlstand der Stadt. Die beachtenswerte Geschlossenheit der historischen Bebauung und die imposante Stadtsilhouette zeichnen Vaihingen im besonderen Maße aus.

Die genannten Beispiele für neue Kulturdenkmale in Baden-Württemberg verdeutlichen, dass sowohl Gewohntes als auch Überraschendes Eingang in den Wertekanon gefunden hat, an dessen „Erhaltung aus wissenschaftlichen, künstlerischen oder heimatgeschichtlichen Gründen ein öffentliches Interesse“ besteht, wie es das Denkmalschutzgesetz – in diesem Jahr 50 geworden – formuliert hat.