Pressemitteilung

Aktueller Stand denkmalgeschütztes Mehrfamilienhaus in Aichtal (Landkreis Esslingen): Gemeinsamer Vor-Ort-Termin erfolgt

Denkmalbehörden schätzen nach Begehung Gebäude als erhaltungsfähig ein und betonen vor Ort erneut die Kulturdenkmaleigenschaft

Backsteingebäude mit dem Schild "Denkmalschutz" im Vordergrund

Bereits im Januar 2024 haben wir per Pressemitteilung über ein unter Denkmalschutz stehendes Mehrfamilienwohnhaus in Aichtal im Landkreis Esslingen informiert. Das Mehrfamilienwohnhaus wurde im Jahr 2016 im Hinblick auf eine Kulturdenkmaleigenschaft geprüft und durch das Landesamt für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart (RPS) in das Verzeichnis der unbeweglichen Bau- und Kunstdenkmale aufgenommen. Das 1948 erbaute Gebäude ist denkmalwürdig und befand sich zu diesem Zeitpunkt definitiv in einem erhaltungsfähigen Zustand.

Die Stadt Aichtal zweifelt an der Kulturdenkmaleigenschaft sowie an der Erhaltungsfähigkeit des Gebäudes aufgrund eines Wasserschadens, der sich im Jahr 2017 ereignete. Bereits Ende 2022 fand daher ein Ortstermin mit der unteren Denkmalschutzbehörde (Landratsamt Esslingen) und der praktischen Bau- und Kunstdenkmalpflege des LAD statt. Allerdings konnte das abgeschlossene Gebäude damals nicht begangen und somit nur von außen betrachtet werden. Daher fand gestern (Donnerstag, 29. Februar 2024) auf Anregung des LAD ein erneuter Vor-Ort-Termin statt. An diesem nahmen Vertreterinnen und Vertreter des Landesamts für Denkmalpflege (LAD) im RPS, ein Vertreter der höheren Denkmalschutzbehörde des RPS, Vertreterinnen und Vertreter des Landratsamts Esslingen als untere Denkmalschutzbehörde sowie Vertreter der Stadt Aichtal teil.

Bei der Begehung durch die Fachleute des LAD, der höheren und der unteren Denkmalschutzbehörden betonten die Denkmalschutzbehörden nochmals die Kulturdenkmaleigenschaft des Gebäudes in Aichtal. Nach aktueller erster Einschätzung bei der gestrigen in Augenscheinnahme halten die Fachleute das Gebäude für erhaltungsfähig. Die Bilder, die in der Presse und in sozialen Netzwerken zu sehen waren und sind, zeigen Schäden im Gebäude und Schimmel im Keller. Dieser Teilschaden scheint aufgrund eines Wasserschadens in 2017 entstanden zu sein. Der Großteil des Mehrfamilienhauses ist allerdings trocken, das Dach sowie die Fenster sind dicht und die Fundamente und die grundsätzliche Tragstruktur im Gebäude intakt. Die Denkmalbehörden schätzen das Gebäude daher als erhaltungsfähig ein.

Der Stadt Aichtal wurde diese Einschätzung aufgrund der Begehung beim Vor-Ort-Termin gestern dargelegt. Nun muss eine mit den Denkmalschutzbehörden abgestimmte detaillierte Schadensanalyse erfolgen, in der die erhaltungsfähigen und die zu ersetzenden Bauteile zeichnerisch dargestellt und in einer „Bilanzierung“ zusammengefasst werden. Diese erfolgt üblicherweise durch eine ausgewiesene Gutachterin beziehungsweise einen ausgewiesenen Gutachter. Dieses Gutachten muss die Stadt Aichtal als Eigentümerin des Gebäudes und als Antragstellerin des Abrissgesuchs in Auftrag geben. Dies entspricht dem üblichen Vorgehen in solchen Fällen, denn die Nachweispflicht hinsichtlich der fehlenden Erhaltungsfähigkeit obliegt dem Eigentümer/der Eigentümerin.

Sollte das Gebäude im fachlichen Gutachten als erhaltungsfähig bewertet werden, müsste in einem zweiten Schritt die wirtschaftliche Prüfung hinsichtlich der erforderlichen Sanierungskosten erfolgen.

Erst wenn diese Punkte geklärt sind, kann letztlich über die Frage „Erhaltung oder Abbruch?“ denkmalschutzrechtlich entschieden werden.

Hintergrundinformationen:
Das Gebäude mit dem zugehörigen Wäschetrockenplatz ist aus wissenschaftlichen und heimatgeschichtlichen Gründen ein Kulturdenkmal gemäß § 2 Denkmalschutzgesetz Baden-Württemberg. Das Gebäude wurde 1948 als „Behelfsheim für Flüchtlinge“ errichtet. Bauherr war die Stadt, die Baupläne lieferte der Nürtinger Bauingenieur Werner Mehlhorn. Es sollte zunächst der Unterbringung von vier heimatvertriebenen Familien dienen, im Laufe des Jahres 1948 musste – zur Unterbringung weiterer vier Familien – umgeplant werden. Wie aus den Bauunterlagen hervorgeht wurde das Gebäude mit einfachen, der Stadt zur Verfügung stehenden Mitteln errichtet: Die Bruchsteine für das Untergeschoss stammen aus dem gemeindeeigenen Steinbruch, das Bauholz aus dem Gemeindewald. Die aufgehenden Wände (im Dach teilweise unverputzt) sind aus Lehmsteinen und vereinzelten Schlackesteinen gemauert. Die Lehmsteine wurden, unter Nutzung einer örtlichen Lehmgrube, in Eigenleistung der Heimatvertriebenen einfach und kostengünstig hergestellt. Das Gebäude ist Ergebnis der bevölkerungstechnischen Umwälzungen in Folge des Zweiten Weltkriegs und der damit verbundenen Wohnungsnot, nicht nur in Grötzingen. Es ist Zeugnis einer kurzen, aber wichtigen Phase der deutschen Nachkriegsgeschichte und belegt die Anstrengungen und Leistungen, die im Rahmen der Integration der Heimatvertriebenen bei alter und neuer Bevölkerung zu erbringen waren.

Eigentümer/innen von Kulturdenkmalen sind gemäß § 6 Denkmalschutzgesetz dazu verpflichtet, diese im Rahmen des Zumutbaren zu erhalten und pfleglich zu behandeln. Dieser Schutz hat in Baden-Württemberg Verfassungsrang. Grundsätzlich gibt es für solche Kulturdenkmäler seitens der Denkmalbehörden mehrere Möglichkeiten, unter anderem der Fortbestand durch Wohnnutzung. Dabei sind neben den nötigen Instandsetzungsarbeiten auch bauliche Veränderungen nach entsprechender Abstimmung mit den Denkmalbehörden grundsätzlich möglich. Im Falle eines Abbruchgesuchs müssen Schäden und Kosten seitens Eigentümers/in beziehungsweise Antragsteller/in detailliert ermittelt und dargestellt werden. Erst dann können die Denkmalbehörden entscheiden, ob das Kulturdenkmal abhängig vom Umfang der notwendigen Teilerneuerung überhaupt als Kulturdenkmal erhalten bleiben kann und ob die Erhaltung dem Eigentümer/der Eigentümerin zumutbar ist.