Pressemitteilung

Archäologische Ausgrabung einer jungsteinzeitlichen Siedlung in Gerlingen (Landkreis Ludwigsburg)

Stadtmuseum Gerlingen eröffnet Ausstellung „Leben in Gerlingen 5.000 vor Christus“

Bild zeigt die kermaischen Funde
Bild zeigt drei Zipfelschalen
Bild zeigt verschieden große Feuersteine

Im Norden Gerlingens soll ein rund 12 Hektar großes Areal baulich entwickelt werden (Bebauungsplan „Bruhweg II“). Große Bereiche des Planungsgebietes stehen unter Denkmalschutz, da sie seit fast hundert Jahren als Siedlungsareal der Jungsteinzeit bekannt sind. Bevor die Erschließungsarbeiten beginnen können, muss daher das im Boden überlieferte Kulturerbe im Rahmen einer Rettungsgrabung fachgerecht dokumentiert und geborgen werden.

Seit Mai des vergangenen Jahres sind die archäologischen Arbeiten im Gange. Im Auftrag der Stadt Gelingen und unter fachlicher Leitung des Landesamtes für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (LAD) werden sie von der Firma Archaeo BW GmbH durchgeführt. Stück für Stück tritt dabei ein detailreicher Siedlungsplan aus der Zeit um 5.000 vor Christus zutage. Die noch gut sichtbaren Spuren von Gebäudepfosten fügen sich zu Hausgrundrissen, die Hausgrundrisse zum Gesamtbild einer dörflichen Ansiedlung zusammen. Die unerwartet gute Erhaltung dieser Siedlungsstrukturen macht die Gerlinger Grabung zu einem Highlight der Landesarchäologie. Zusammen mit Funden aus Keramik, Stein und Knochen bietet sich eine Fülle von Informationen, die wissenschaftlich ausgewertet werden können.

Am 3. April eröffnet im Stadtmuseum Gerlingen die Ausstellung „Leben in Gerlingen 5.000 vor Christus“. Besucherinnen und Besucher sollen mit auf diesen faszinierenden Erkenntnisweg der archäologischen Forschung genommen werden. Anhand ausgewählter Exponate und einer Vermittlung, die Fakten und Vermutungen graphisch trennt und interaktiv zugänglich macht, erfolgt eine Annäherung an die längst untergegangene Lebenswelt der frühen bäuerlichen Kulturen im Land. Vorträge, Grabungsführungen und ein umfangreiches Kulturvermittlungsprogramm, die die Ausstellung in den kommenden Monaten begleiten werden, möchten Methoden und Forschungsziele der Archäologie vermitteln.

Hintergrundinformationen:
Mittlerweile ist gut die Hälfte der acht Hektar umfassenden Grabungsfläche abgearbeitet. Mehr als 10.000 Siedlungsbefunde wurden dokumentiert und untersucht, zahllose Funde aus Knochen, Stein und Keramik geborgen. Bereits der vorläufige Grabungsplan (Abbildung 1) eröffnet einen faszinierenden Eindruck vom Aussehen einer bäuerlichen Ansiedlung vor 7.000 Jahren. Zu erkennen sind zahlreiche Grundrisse langgestreckter Gebäuden, die für die damalige Zeit typisch sind. Es handelte sich um einzelne Höfe, in denen familiäre Gruppen von vielleicht 25 bis 30 Personen zusammengelebt haben dürften. Nicht alle der fassbaren Gebäude bestanden gleichzeitig. Überschneidungen der Grundrisse zeigen vielmehr, dass es zu Renovierungen und Neubauten kam. Die Strukturen des Gesamtplans spiegeln ein über mehrere Generationen sich erstreckendes Siedlungsgeschehen.

Die keramischen Funde zeigen die charakteristischen Formen und Verzierungen der mittleren Jungsteinzeit (etwa 5.000-4.500 vor Christus). Flächenhafte Verzierungen aus Einstichen, Ritzlinien und Stempelungen waren ursprünglich mit einer weißen Kalkpaste ausgefüllt. Durch diese Technik, die sogenannte Inkrustation, trat das Ornament in reizvollen Kontrast zur dunklen Gefäßoberfläche (Abbildung 2).
Viele Gefäße weisen runde Böden und Ösen auf, an denen sie aufgehängt werden konnten. Ihr Inhalt konnte so vor Mäusen und anderen Schädlingen geschützt werden. Große Gefäße dienten der Vorratshaltung. Charakteristisch sind sogenannte „Zipfelschalen“, die an den Rändern drei oder vier spitz ausgezogene Fortsätze haben (Abbildung 3).

Für die Herstellung von Werkzeugen, die beim Hausbau, in der Landwirtschaft oder für andere Arbeiten verwendet wurden, spielte neben Holz, Knochen und Geweih auch Stein eine große Rolle. Die Siedler in Gerlingen wussten, wo Gesteinsarten zu finden waren, die ihren speziellen Anforderungen entsprachen. Steine, die sich zum Mahlen von Getreide eigneten, wurden aus den Muschelkalk- und Keupergebieten des Neckarlandes, aber auch aus der Buntsandsteinregion des Nordschwarzwalds herangeschafft. Für Äxte und Beile wurden unter anderem Grünsteinvarietäten verwendet, die man aus den Schottern des Alpenrheins auflesen kann. Aus Silex, der auch „Feuerstein“ genannt wird und besonders scharfe Bruchkanten ausbildet, wurden schneidende und schabende Werkzeuge hergestellt. Das bisher in Gerlingen identifizierte Silex-Rohmaterial stammt von der Schwäbischen Alb, aus Südbaden sowie aus der Region um Abensberg im Landkreis Kelheim (Abbildung 4).

Zur Ausstellung:
„Leben in Gerlingen 5.000 vor Christus“
Archäologische Ausgrabungen einer jungsteinzeitlichen Siedlung im Baugebiet Bruhweg II vom 3. April 2022 bis 22. Januar 2023 im Stadtmuseum Gerlingen. Die Öffnungszeiten sind dienstags und samstags von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr sowie sonntags von 11:00 Uhr bis 18:00 Uhr. Führungen sind auch außerhalb dieser Zeiten möglich und können telefonisch unter 07156-205366 oder per E-Mail an stadtmuseum@gerlingen.de vereinbart werden. Informationen über aktuelle Termine der Kulturvermittlung finden Sie unter www.gerlingen.de/Stadtmuseum. Eintritt frei.

Die Ausstellung wurde vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart (LAD) konzipiert und erfolgt in Kooperation mit dem Stadtmuseum Gerlingen. Gefördert wurde sie vom Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen Baden-Württemberg als Oberste Denkmalschutzbehörde.

Flyer zu der Ausstellung (pdf, 5 MB)

Abbildung 1: Vorläufiger Grabungsplan (pdf, 2.2 MB), Quelle: ArchaeoBW GmbH
Abbildung 2: Die keramischen Funde zeigen die charakteristischen Formen und Verzierungen der mittleren Jungsteinzeit (etwa 5.000-4.500 vor Christus), Quelle: Landesamt für Denkmalpflege, Yvonne Mühleis
Abbildung 3: „Zipfelschalen“, die an den Rändern drei oder vier spitz ausgezogene Fortsätze haben, Quelle: Landesamt für Denkmalpflege, Yvonne Mühleis
Abbildung 4: Aus Silex, der auch „Feuerstein“ genannt wird und besonders scharfe Bruchkanten ausbildet, wurden schneidende und schabende Werkzeuge hergestellt, Quelle: Landesamt für Denkmalpflege, Yvonne Mühleis