Vor 30 Jahren hat das Regierungspräsidium Stuttgart das Naturschutzgebiet Kasparsbrunnen-Ried-Binn ausgewiesen. Das Naturschutzgebiet in der Würmaue zwischen Aidlingen und Grafenau ist ein wahres Juwel im Landkreis Böblingen. Dazu Regierungspräsident Wolfgang Reimer: „In der abwechslungsreichen Wiesenlandschaft mit ungenutzten oder schonend bewirtschafteten Flächen finden zahlreiche seltene Tier- und Pflanzenarten Lebensraum. Dank der Förderung der Landschaftspflege gelang es uns gemeinsam mit den Bewirtschaftern, die hochwertigen Biotope dieses Kleinods zu erhalten und in seiner Bedeutung für die biologische Vielfalt weiter zu verbessern“, so Reimer. Für den Erfolg dieser Maßnahmen spricht die Entdeckung neuer bedrohter Tierarten im Gebiet.
Der dicht besiedelte Landkreis Böblingen hat nur noch wenige Bereiche mit intakter Kulturlandschaft. Das Würmtal zwischen dem Würmtalhof und der Burschelberger Mühle gehört zu diesen wertvollen Flächen. Dort fließt die Würm in einer weitläufigen Talaue in Mäandern und wird von einem Gehölzsaum, Schilfgürtel, Hochstauden, Seggensümpfen sowie feuchten und nassen Wiesen begleitet. Die Vielfalt der naturnahen Biotope bringt einen großen Artenreichtum hervor.
Ein besonderer Vertreter der Pflanzenwelt ist die seltene Rasen-Segge, die große Flächen bedeckt. Im Seggenried hat die Knoten-Binse einen ihrer größten Bestände im Landkreis Böblingen. In der Mitte der großen Riedfläche gedeiht die seltene Kriech-Weide. Und in einer Feuchtwiese leuchten im Frühsommer sogar an einigen Stellen die satten gelben Knöpfe der Trollblumen. Rekordverdächtig ist auch die größte und längste Hecke des ganzen Würmtals, die sich entlang eines früheren Wässerwiesen-Grabens im Gebiet erstreckt. Mittendrin zieht die Würm gemächlich und unbeirrt vom rundum regen tierischen Treiben ihre Mäanderschleifen.
Das ganze Jahr über gibt es etwas zu entdecken, summt, brummt und zwitschert es. Für die Vogelwelt ist das geschützte Gebiet ein Paradies: Eisvogel, Wasseramsel, Gebirgsstelze, Zwergtaucher und Uferläufer können beobachtet werden. Hier brüten Rohrammer, Teichrohrsänger, Stockente und Teichhuhn. Im Winter sind die seltenen Zwergschnepfen und Bekassinen zu Gast. Im Sommer schillert die Blauflügel-Prachtlibelle. Vielzählige Käferarten tummeln sich im Uferbereich, unter anderem auch seltene Laufkäferarten wie der Uferläufer. Und dann sind da noch die alten Ufergehölze mit ihrem hohen Totholzanteil, Höhlen und Spalten. Sie sind ein Eldorado für Insekten. Hier lebt der Moschusbock, dessen zwei- bis dreijährige Larvenentwicklung im Holz älterer Weiden stattfindet. Gleich darunter graben Wildbienen in die besonnten Steiluferabschnitte Brutröhren. Die blütenreichen Feuchtwiesen und angrenzende Biotope sind der Lebensraum zahlreicher, teils seltener Schmetterlingsarten wie Wegerich-Scheckenfalter, Randring-Perlmutterfalter und Brauner Feuerfalter und auch Heuschrecken wie Maulwurfsgrille, Wiesengrashüpfer und Sumpfgrashüpfer halten hier ein Stelldichein.
Auch in einem Naturschutzgebiet gibt es Überraschungen. In diesem Fall zwei “Neulinge“: der Große Feuerfalter und die Schmale Windelschnecke. Der europaweit in seinem Bestand gefährdete Schmetterling Großer Feuerfalter benötigt ein Lebensraummosaik, in dem sowohl ausreichend Nektarpflanzen für die Falter, als auch die Futterpflanze seiner Raupen, nämlich Ampferarten, gedeihen. Im Naturschutzgebiet ist dies vor allem der Wasser-Ampfer am Würmufer und im angrenzenden Ried. Auf ihnen legt der Große Feuerfalter seine Eier und die Larven können sich in Ruhe sattfressen. Denn Ufer und Ried werden nicht oder erst spät im Jahr gemäht.
Das Vorkommen der seltenen Schmalen Windelschnecke wurde bei Untersuchungen für den Managementplan für das FFH- Gebiet „Gäulandschaft an der Würm“ entdeckt. Eventuell ist sie kein Neuling, sondern wurde auf Grund ihrer Winzigkeit nicht früher entdeckt. Sie misst gerade mal 2 mm und lebt knapp oberhalb des Bodens versteckt im Pflanzenmulm. Sie benötigt niedrige Pflanzenbestände, die ganzjährig feucht bleiben und in mehrjährigen Abständen gemäht werden. Die Schneckenwinzlinge ernähren sich von abgestorbenen, aber nicht verholzten Pflanzenteilen und darauf lebenden Mikroorganismen.
Landwirte sind im Gebiet wichtige Partner des Naturschutzes: Die Feuchtwiesen im Naturschutzgebiet Kasparsbrunnen-Ried-Binn müssen extensiv bewirtschaftet werden, da sie sonst langfristig zuwachsen und die Artenvielfalt schwinden würde. Aus diesem Grund hat die Naturschutzverwaltung mit Landwirten Verträge abgeschlossen – meist Mahd mit Abräumen des Mähguts, kleinflächig auch Beweidung –, die zu einer schonenden Bewirtschaftung verpflichten. Über Landesmittel erhalten die Landwirte für ihren Ertragsverlust einen finanziellen Ausgleich.
Hintergrundwissen FFH-Gebiet und Managementplan
Das Naturschutzgebiet Kasparsbrunnen-Ried-Binn zählt zum Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Gebiet „Gäulandschaft an der Würm“. FFH-Gebiete gehören zum europaweiten Naturschutznetz Natura 2000. Ziel ist es, bedeutsame Lebensräume, Tier- und Pflanzenarten vor dem Aussterben zu bewahren. Im Naturschutzgebiet Kasparsbrunnen-Ried-Binn sind dies die Lebensräume „Magere Flachland-Mähwiesen“ und „Auenwälder mit Erle, Esche und Weide“. An Arten der FFH-Richtlinie kommen Großer Feuerfalter und Schmale Windelschnecke vor.
Seit zwei Jahren ist für das FFH-Gebiet ein sogenannter Managementplan gültig. Dieser empfiehlt Maßnahmen für die Erhaltung der Lebensräume und der beiden Arten. Beispielsweise sollte sich die Schilffläche nicht vergrößern (was sie von Natur aus täte), weil dadurch der Lebensraum der Windelschnecke eingeengt wird und die Nahrungspflanze der Feuerfalterraupe, der Wasser-Ampfer, verdrängt wird. Die im Schilf brütenden Vogelarten sollen nicht gestört werden, daher wird in der Regel nur außerhalb der Brutzeit gemäht.
Hinweise für Besucher
Durch das Naturschutzgebiet führen keine durchgehenden Wege. Ein Grasweg von Norden endet nach wenigen hundert Metern. Einen ausgezeichneten Blick ins Naturschutzgebiet haben Besucher aber von dem im Osten oberhalb der Würmaue entlang führenden Wanderweg („Würmhaldenweg“). Er ist Teil des Hauptwanderwegs 5 des Schwäbischen Albvereins („Schwarzwald-Schwäbische Alb-Allgäu-Weg“). Südlich von Burschelberg bei Grafenau-Döffingen befindet sich am Waldrand ein kleiner Parkplatz direkt an diesem Weg. Besucher müssen im Naturschutzgebiet auf dem Weg bleiben und Hunde an die Leine nehmen. Wir wünschen viel Vergnügen und spannende Entdeckungen.