Im Naturschutzgebiet Steinbruch Steinweiler auf dem Gebiet der Gemeinde Nattheim (Landkreis Heidenheim) ziehen heute zum zweiten Mal zwölf Ziegen ein. Dort sollen sie erneut während der Vegetationszeit von Mai bis Oktober weiden und so verhindern, dass der Steinbruch weiter zuwächst. Nachdem bereits 2018 der ziegensichere Festzaun gebaut wurde, weidete von Mai bis Anfang Oktober 2019 zum ersten Mal eine kleine Ziegenherde im Steinbruch, um die Gehölze zu reduzieren und die wertvollen Trockenrasen zu erhalten. Der offenere südliche Bereich des Steinbruchs, der reich an Blühpflanzen ist, wird nur im Frühjahr bis etwa Mitte Mai und dann wieder im Spätsommer ab Mitte August beweidet. So können die Pflanzen dazwischen ungestört blühen und als Nahrungsgrundlage für Insekten dienen. In dieser Zeit weiden die Ziegen im weniger empfindlichen und bereits stärker zugewachsenen nördlichen Bereich des Steinbruchs.
„Der ehemalige Steinbruch ist ein wichtiges Refugium für viele seltene und gefährdete Arten. Hier können ungestört Tiere und Pflanzen siedeln. Je weniger Fläche wildlebende Tieren und Pflanzen haben, umso mehr Anstrengungen müssen wir darauf verwenden, die verbleibenden ungenutzten Flächen zu optimieren. Es erfordert viel Fingerspitzengefühl, auf der kleinen Fläche ein stabiles Gleichgewicht zu erlangen, das den seltenen Pflanzenarten des Naturschutzgebietes ebenso gerecht wird wie beispielsweise den Wildbienen“, erklärt Regierungspräsident Wolfgang Reimer.
Um die Auswirkungen der Beweidung zeitnah zu erkennen und gegebenenfalls nachjustieren zu können, wird die Beweidung durch ein Monitoring begleitet. Dieses Monitoring wird aus Mitteln des Sonderprogramms des Landes zur Stärkung der biologischen Vielfalt finanziert, der ziegensichere Zaun mit Ersatzgeldern aus der Windkraft.
Ehemaliges Steinbruchgelände ist Heimat vieler Tier- und Pflanzenarten
Nördlich von Steinweiler erstrecken sich die gewaltigen Schutthalden des früheren Steinbruchgeländes. Von 1775 bis 1965 wurden hier plattige Kalksteine – sogenannte Zwischenkalke – abgebaut. Es handelt sich um eine besondere Ausbildung des Kalks, der sehr reich an Kieselschwamm-Skeletten ist. Nach Aufgabe des Abbaus wurde der Steinbruch der Natur überlassen. Seitdem entwickelte sich hier eine vielfältige Flora und Fauna. Bereits im Jahr 1997 hatte das Regierungspräsidium Stuttgart das ökologisch, geologisch und landeskundlich bedeutsame Steinbruchareal sowie die an den Steinbruch angrenzenden Magerrasenflächen zum Naturschutzgebiet erklärt.
Das Gelände ist mit seinen Schutthalden, Terrassen, Bruchwänden und Trockenrasen Heimat vieler zum Teil seltener Tier- und Pflanzenarten, die an offene und trockene Standorte angepasst sind. Auf dem Abraumschutt wachsen große Bestände des Schmalblättrigen Hohlzahns. Auf den sonnigen Trockenrasen leuchten von Juni bis August die gelben Blüten des Alpen-Pippaus. Das Naturschutzgebiet beherbergt eines der wenigen landesweiten Vorkommen dieser gefährdeten Pflanze, sie ist in Baden-Württemberg sonst nur noch auf der Schwäbischen Alb und im Hegau mit nennenswerten Beständen zu finden. Besonders beeindruckend ist die stolze Zahl von 101 nachgewiesenen Wildbienenarten im Naturschutzgebiet – davon stehen elf auf der Roten Liste gefährdeter Tierarten. Die Wildbienen werden von einem reichen Blütenangebot und von optimalen Nistplätzen in den Schutthalden angelockt. Die Felsen und Steine nutzen außerdem zwei seltene Schlangenarten zum Wärmetanken und Sonnenbaden: die giftige Kreuzotter und die perfekt getarnte, graubraune Schlingnatter.
Ziegen als aktive Landschaftspfleger
Die sonnen- und wärmeliebenden Tier- und Pflanzenarten sehen sich jedoch einem zunehmenden Verlust ihrer Lebensstätten gegenüber. Mittlerweile ist der Steinbruch stark zugewachsen, viele Pflanzenstandorte werden durch Laubfall und Beschattung beeinträchtigt und Lebensräume für Pflanzen, Insekten und Reptilien drohen zu verschwinden. Das Regierungspräsidium Stuttgart will diese Entwicklung im Naturschutzgebiet mit gezielter Landschaftspflege aufhalten und die wertvollen Offenlandbiotope weiterentwickeln. Ziel ist es, verbuschte Standorte wieder zu öffnen und dauerhaft offenzuhalten sowie zusätzliche offene Standorte zu schaffen. Bereits in der Vergangenheit wurden aufkommenden Gehölzen auf einzelnen Teilflächen motormanuell zu Leibe gerückt – ein kostspieliger und mühsamer Aufwand. Seit einem Jahr übernehmen nun zwölf Ziegen der Rasse Tauernschecke des Tierhalters Gregor Sing aus Eselsburg die Aufgabe der Offenhaltung.
Im Steinbruch Steinweiler bietet sich eine hervorragende Möglichkeit, auch auf sensiblen Flächen ein Beweidungsprojekt mit Ziegen fachlich begleitet erfolgreich umzusetzen. Die Ziegen sind trittsicher, tun sich an Gehölzen gütlich und sind somit für die Landschaftspflege in solch einem Areal besonders gut geeignet. Um die Auswirkungen der Beweidung auf die Flora und Fauna im Steinbruch zu beobachten, wird das Regierungspräsidium die neue Maßnahme mit einem Monitoring in Zusammenarbeit mit dem Landschaftserhaltungsverband des Landkreises Heidenheim und einem beauftragten Wildbienenexperten begleiten. Auf diese Weise können die Landschaftspflegemaßnahmen flexibel angepasst und optimiert werden, zum Beispiel durch eine Veränderung der Anzahl an Ziegen. Das Naturschutzgebiet wird dadurch aufgewertet und die beeindruckende Artenvielfalt gefördert
Hinweise für Besucherinnen und Besucher:
Von der Straße Steinweiler-Auernheim zweigt ein Schotterweg ab, der den ost- und Südteil des Steinbruchgeländes erschließt. Von Norden besteht ein Zugang zur Hütte des Heimatvereins Steinweiler (außerhalb des Naturschutzgebiets) und in die nordöstliche Steinbruchnische. Die übrigen Bereiche sind unzugänglich. Das schont nicht nur die Flora und Fauna, sondern vermeidet auch die Gefahr des Steinschlags, der man sich mit einem Aufenthalt dort aussetzen würde. Das Regierungspräsidium weist darauf hin, dass zum eigenen Schutz und zum Schutz der Tier- und Pflanzenwelt die vorhandenen Wege nicht verlassen werden dürfen und das Befahren des Gebiets mit Fahrzeugen jeglicher Art, das Entzünden von Feuer und das Klettern verboten sind. Die Ziegen dürfen zu ihrem Wohle und zum Wohle des Schutzgebietes nicht gefüttert werden.
Hintergrundinformationen Ersatzgelder:
Eingriffe in die Natur, zum Beispiel durch Windkraftanlagen, müssen nach der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung kompensiert werden, sofern sie nicht gänzlich vermieden werden können. Gelingt die Kompensation nicht durch Ausgleichs- oder Ersatzmaßnahmen– zum Beispiel durch Aufforstungen oder Renaturierungen zur Wiederherstellung naturnaher Lebensräume –, so ist vom Vorhabensträger eine Ersatzzahlung zu leisten. Die Ersatzgelder werden von der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg verwaltet und wieder Naturschutz- und Landschaftspflegezwecken zugeführt.
Hintergrundinformationen Sonderprogramm:
Im November 2017 hat die Landesregierung das Sonderprogramm zur Stärkung der biologischen Vielfalt beschlossen und für die Jahre 2018 und 2019 insgesamt 30 Millionen Euro bereitgestellt. Zusätzliche sechs Millionen Euro fließen in begleitende Monitoringmaßnahmen ein. Auch in den Jahren 2020 und 2021 wird das erfolgreiche Sonderprogramm fortgesetzt. Die Ministerien für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft, für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz und für Verkehr setzen in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich zahlreiche Maßnahmen zur Sicherung und Förderung der biologischen Vielfalt um.
Bilder zum Steinbruch Steinweiler können Sie unter nachfolgendem Link herunterladen: https://t1p.de/wjrk (Quelle: RP Stuttgart)
Pressemitteilung