Im Heilbronner Stadtteil Neckargartach wurden bei Rettungsgrabungen eine 500 Meter lange römische Fernstraße und verschiedene Bebauungen gefunden. In einem der Steinbauten kamen zudem Teile einer Merkur-Statue zum Vorschein. Erstmals konnte in Baden-Württemberg ein so langer Straßenabschnitt samt allen dazugehörigen Strukturen untersucht werden.
Im Heilbronner Norden, im Stadtteil Neckargartach, soll auf knapp 30 Hektar der Internationale Campus für Künstliche Intelligenz entstehen. Da die gesamte Fläche als archäologisches Kulturdenkmal ausgewiesen ist, waren vor Baubeginn großflächige Rettungsgrabungen erforderlich. Diese wurden zwischen Mai 2023 und September 2024 von der Grabungsfirma ArchaeoConnect GmbH unter der fachlichen Begleitung des Landesamts für Denkmalpflege (LAD) im Regierungspräsidium Stuttgart durchgeführt. Gesucht wurde nach einem römischen Gutshof – gefunden wurden unter anderem eine römische Fernstraße, verschiedene Bebauungen und Teile einer Merkur-Statue.
„Schon die Gewannbezeichnung ‚Steinäcker‘ deutete auf Überreste römischer Bebauung hin, so galt der Platz in der Forschungsgeschichte als Standort eines römischen Gutshofs“, sagte Sybil Harding von der Firma ArchaeoConnect GmbH. In der Fläche konnten nun allerdings die Spuren einer römischen Straße dokumentiert werden, die auf einer Länge von gut 500 Metern das Grabungsareal von Süden nach Norden durchzieht. „Der Straßenkörper verläuft weitgehend unter einem geteerten Wirtschaftsweg, jedoch ließen sich auf beiden Seiten die charakteristischen, eine römische Straße begleitenden Entwässerungsgräben auf ganzer Strecke verfolgen“, berichtete Dr. Andrea Neth, die zuständige Archäologin am LAD. „Bei dem etwa 14 Meter breiten Straßenraum handelt es sich um eine römische Fernstraße, die unter anderem die beiden etwa zehn Kilometer voneinander entfernten Kastellplätze des Neckarlimes in Böckingen und Wimpfen verband.“
Insbesondere westlich der Straße wurden viele Befunde römischer Bebauung entdeckt. Zumeist dürfte es sich um Fachwerkbauten, teilweise auch auf Steinsockeln, gehandelt haben. Infolge der intensiven landwirtschaftlichen Nutzung sind heute meist nur noch die in den Boden eingetieften Keller in Holz- oder Steinbauweise überliefert. „Anzahl, Art und Anordnung der Baubefunde lassen den Schluss zu, dass es sich nicht um einen Gutshof, sondern um einen bisher unbekannten vicus, also ein ziviles römisches Straßendorf, handelt. Direkt an der Straße gelegen, diente der Ort, der sich in mehrere Teilbereiche gliedert, wahrscheinlich als Raststation, kleiner Handelsplatz und Niederlassung von Handwerkern“, erläuterte Neth. Außer den Gebäuderesten wurden zahlreiche Gruben, eine Getreidedarre und ein Ofen aufgedeckt. Fünf sehr tiefe Brunnen stellten die Wasserversorgung sicher. Eine Besonderheit sind laut Neth drei vereinzelt liegende Bestattungen am Straßenrand, die nicht zu einem regulären Friedhof gehören. In zweien fanden sich römische Schuhnägel.
Untersuchung längster Straßenabschnitt im Land
„Herausragend an der Fundstelle in Neckargartach ist, dass erstmals in Baden-Württemberg ein langer Straßenabschnitt samt allen dazugehörenden Strukturen untersucht werden konnte“, so Neth. Ungewöhnlich seien mehrere steinerne Punktfundamente direkt an der Straße, deren Funktion noch Rätsel aufgäben. Für einen 2,9 Meter breiten und mindestens 3,2 Meter langen Steinbau, dessen Mauerwerk in der untersten Steinlage erhalten war, gilt das nicht: Im Ruinenschutt fanden sich, neben Fragmenten farbiger Wandbemalung und zwei Münzen als Opfergaben, mehrere Teile einer Statue aus Sandstein. „Ein vollplastisch gearbeiteter, annähernd lebensgroßer Kopf stellt den Gott Merkur dar. Eindeutig erkennbar an der Flügelhaube“, so Harding. Ein weiteres Bruchstück zeigt eine Hand, die einen (Geld-)Beutel umschließt. Auch das ist ein typisches Attribut des flinken Götterboten, der im römischen Götterhimmel als Beschützer von Händlern und Kaufleuten, aber auch von Dieben, gilt. „Der Standort des Merkurtempels an der Straße unterstreicht deren Bedeutung zunächst im militärischen, später auch im zivilen Kontext“, erklärte Harding. „Die Errichtung der Kastelllinie am Neckar um 100 nach Christus erforderte die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur für das Militär. Nach der Verlegung der römischen Reichsgrenze an den 20 Kilometer östlich gelegenen Obergermanischen Limes um die Mitte des 2. Jahrhunderts nach Christus blieben die Verkehrswege weiter in Benutzung bis zur Aufgabe des Limes im 3. Jahrhundert“, so Harding weiter.
Die genaue Nutzungszeit des vicus in Neckargartach lässt sich erst nach der Auswertung des Fundmaterials bestimmen. Das Fehlen von markanten Brandschichten in den Kellern könnte ein Hinweis auf eine geordnete Räumung der kleinen Siedlung sein. Befunde einer nachrömischen Niederlassung fanden sich nicht, jedoch weisen vier Bestattungen aus dem 4./5. Jahrhundert auf eine in der Nähe gelegene spätantike Siedelstelle hin.
Anlagen:
Bild 1: Die Grabungsflächen in HN-Neckargartach aus der Luft betrachtet, Foto: Matthias Göden , LAD/ArchaeoConnect GmbH (jpg, 8,6 MB)
Bild 2: Aus Stein gemauerter Keller während der Ausgrabung, Foto: Sybil Harding, LAD/ArchaeoConnect GmbH (jpg, 2,2 MB)
Bild 3: Grundriss des Merkurtempels. Der Kopf der Statue lag zwischen den zerbrochenen Steinen, Foto: Julia Hopf, LAD/ArchaeoConnect GmbH (jpg, 2,4 MB)
Bild 4: Kopf und Hand der im Tempel aufgestellten Statue des Gottes Merkur mit seinen Erkennungsmerkmalen Flügelhaube und Geldbeutel, Foto: Yvonne Mühleis , LAD (jpg, 2,4 MB)