Im Ammertal bei Tübingen, im „Gedüngten Ried“ zwischen Schemmerhofen-Ingerkingen und Ehingen-Volkersheim sowie am „Neunbrunnen“ bei Herbertingen-Hundersingen werden seit 2021 durch das Regierungspräsidium Tübingen Lebensräume für den Kiebitz entwickelt. Die Auswirkungen auf Kiebitze und andere Vogelarten sind so positiv, dass im Langenauer Ried zwischen Langenau und Günzburg ein weiteres Projekt zum Schutz von Wiesenbrütern ins Leben gerufen wurde.
Seit Mitte Februar sind die ersten Kiebitze in ihre Brutgebiete im Regierungsbezirk Tübingen zurückgekehrt. Aufgrund der erfolgreichen Bruten in den Vorjahren haben sich die Kiebitze den Brutplatz eingeprägt. Nun sammeln sie sich dort zur Partnersuche, vollführen ihre akrobatischen Balzflüge und der charakteristische Ruf „kiju-wit“ ist in der Landschaft zu hören.
Da nasse Acker- und Grünlandflächen im gesamten Land immer seltener zu finden sind, ist der Kiebitz in Baden-Württemberg vom Aussterben bedroht. Viele seiner ursprünglichen Lebensräume wurden trockengelegt oder sind verbuscht. In den vier Projektgebieten werden deshalb störungsarme, offene und nasse Lebensräume entwickelt. Diese Strukturen sollen durch eine Beweidung mit Wasserbüffeln langfristig erhalten werden. In allen Gebieten gibt es lokale Tierhalter, die den Artenschutz durch die Beweidung unterstützen.
Die letzte Brut der Kiebitze lag in den Gebieten bis zu 70 Jahre zurück. Innerhalb von nur drei Jahren konnten in allen Gebieten Bruterfolge erreicht werden. Mit bis zu 13 Brutpaaren und über 20 flüggen Jungvögeln pro Gebiet ist dies eine wichtige Stütze für die vom Aussterben bedrohte Vogelart.
Die positiven Auswirkungen auf andere Arten übertrafen letztes Jahr die Erwartungen der Projektbetreuer: In den Flächen brüteten auch wieder Arten wie der Flussregenpfeifer und die Wiesenschafstelze. In allen Gebieten sind die Bekassine und Zwergschnepfe regelmäßige Wintergäste. Auch diese brauchen überstaute Uferbereiche mit kurzem Pflanzenbewuchs, um dort nach Insekten und Würmern zu stochern. Als Rast- und Überwinterungsmöglichkeit kommen viele Zugvögel wie der Raubwürger, die Kornweihe oder der Dunkle Wasserläufer in die Gebiete. In einem Gebiet hat sich auch die Kreuzkröte wieder angesiedelt.
Die Brutbereiche werden während der Brutzeit mit Elektronetzen gezäunt, um den Kiebitz und seine Nester zu schützen. So kann ein hoher Bruterfolg erreicht werden, der die Population der Kiebitze wachsen lässt. Zur Brutzeit von März bis August müssen die Menschen Rücksicht nehmen, denn Lärm und freilaufende Hunde erschrecken die Tiere und gefährden ihre Jungen.
Hintergrundinformationen:
Die Naturschutzbehörden des Regierungspräsidiums Tübingen und der Landratsämter haben in den Projektgebieten im Ammertal bei Tübingen, im Naturschutzgebiet Gedüngtes Ried zwischen Ingerkingen und Volkersheim sowie am Neunbrunnen bei Hundersingen und im Langenauer Ried bei Langenau in den letzten vier Wintern verschiedene Maßnahmen umgesetzt, damit die vom Aussterben bedrohten Kiebitze wieder eine Heimat finden. Die Projekte sind ein wichtiger Beitrag, um neue Lebensräume für den zum „Vogel des Jahres 2024“ gewählten Kiebitz zu schaffen.
Projektgebiet im Ammertal
2022 wurde die vom Aussterben bedrohte Vogelart auf einer Ackerfläche beim Schwärzlocher Hof erfolgreich angesiedelt. Die im Vogelschutzgebiet „Schönbuch“ gelegene Fläche hatte das Land eigens für das Wiederansiedlungsprojekt erworben.
Seither wurden auf der rund 14 ha großen Fläche zahlreiche Maßnahmen im Auftrag des Regierungspräsidiums Tübingen umgesetzt. Insbesondere Gehölzmaßnahmen, die Herstellung von Wasserflächen sowie die Beruhigung des Gebiets führten zur Besiedlung der Fläche mit Kiebitzen.
Im Projektgebiet Ammertal brüteten im Jahr 2024 sechs Kiebitz-Paare, die im Juni sechs flügge Junge hatten. Seit 2023 wird der Kiebitzacker von Wasserbüffeln beweidet. Besuchende können sowohl die Kiebitze als auch die Büffel von der Kiliansbrücke aus störungsfrei beobachten.
Projektgebiet im Naturschutzgebiet „Gedüngtes Ried“
Das Naturschutzgebiet „Gedüngtes Ried“ befindet sich zwischen Ingerkingen und Volkersheim. Die Flächen gehören dem Land und wurden als potentiell für den Kiebitz geeignet erkannt. Nach umfangreichen Landschaftspflegemaßnahmen hat der Kiebitz 2022 nach über 40 Jahren erstmalig wieder im Gebiet gebrütet. Seitdem hat der Bestand stetig zugenommen, im Jahr 2024 haben 13 Kiebitz-Paare gebrütet und mindestens 20 Jungvögel wurden flügge. Seit 2023 sind während der Sommermonate Wasserbüffel auf der Weide. Um den Kiebitz nicht zu stören, können Besucher die Tiere von den oberhalb gelegenen Feldwegen abseits der Weide beobachten.
Projektgebiet am Neunbrunnen
Auf den Landesflächen am Neunbrunnen zwischen dem Mengener Ortsteil Beuren und Herbertingen-Hundersingen weiden bereits seit 2019 Wasserbüffel. Die Fläche eignet sich besonders gut für diese Art der Beweidung, weil sich sehr feuchte und trockene Bereiche auf kleiner Fläche abwechseln und die maschinelle Pflege erschwert ist. Umfangreiche Bodenmodellierungen haben wieder offene Wasserstellen geschaffen, dort wo das Wasser des Neunbrunnens zutage tritt. 2024 brüteten sechs Kiebitz-Paare und von denen fünf Paare mit Jungvögeln beobachtet wurden. Zusammen mit dem engagierten Tierhalter vor Ort und den Ehrenamtlichen vom NABU wird das geeignetste Weide- und Zaunmanagement zum Schutz der Kiebitze erprobt.
Projektgebiet im Naturschutzgebiet „Langenauer Ried“
In Verbindung mit dem Vogelschutzgebiet „Donauried“ zählt das Naturschutzgebiet „Langenauer Ried“ zu den landesweit herausragenden Lebensräumen für Wiesenbrüter. Leider waren auch hier die Bestände in den letzten Jahrzehnten aufgrund Entwässerung sowie fehlender offener Nahrungs- und Bruthabitate rückläufig. Das Regierungspräsidium Tübingen hat daher bereits vor einigen Jahren begonnen, diesem Trend im Rahmen seines „Entwicklungskonzepts Weideverbund Donauried“ mit unterschiedlichen extensiven Beweidungsprojekten entgegen zu wirken. Diesen Winter wurden im Zusammenhang mit einem Projekt der Stiftung Naturschutzfonds Baden-Württemberg großräumige Entbuschungs- und Mulcharbeiten im Gebiet betrieben, denn der Kiebitz mag es schwarz, schlammig und weitgehend offen.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten: Auf den neu geschaffenen, weitgehend offenen Flächen, wurden Mitte März, das erste Mal seit mindestens 70 Jahren, wieder balzende Kiebitze gezählt. Ab Mai kommen dann erstmalig Wasserbüffel auf die Fläche, um als „Landschaftspfleger“ dafür zu sorgen, dass die Gehölze nicht überhandnehmen und die Wasserflächen erhalten bleiben.
Bildunterschrift:
Wasserbüffel; Fotografie: Josef Grom
Kiebitz im Flug; Fotografie: Josef Grom