Bagger auf einer Baustelle

Baumaschinen

Darstellung des Sachverhalts

Das Baugewerbe ist weiterhin eine Branche mit hohen Unfallzahlen. Nicht selten sind Erdbaumaschinen an den Unfällen beteiligt. Dieses signifikante Unfallgeschehen mit Baumaschinen war Anlass für die Überprüfungen durch die Marktüberwachung (MÜ). Dabei sind zwei Unfallschwerpunkte mit Baumaschinen besonders aufgefallen:

  • Immer wieder werden Bauarbeiter durch Erdbaumaschinen überrollt, weil der Fahrer den Kollegen nicht sehen konnte, und
  • Anbaugeräte an Baggern fallen auf Bauarbeiter herunter, weil das Anbaugerät (z. B. Baggerlöffel) nicht korrekt mit der hydraulischen Schnellwechseleinrichtung (SWE) verriegelt war.

Beispiel Baggerunfälle 1996 - 2000

Titel: ABBILDUNG 1: BAGGERUNFÄLLE AUF GRUND ABGEDECKTEM SICHTFELD im Zeitraum 1996 bis 2000 (QUELLE BG BAU) - Beschreibung: Diese Grafik zeigt die gefährlichsten Aufenthaltsbereiche im Umkreis um einen Bagger. Dargestellt wird die Verteilung der Aufenthaltsbereiche in denen es zu schweren und tödlichen Unfällen kam.

Bereits im Jahr 2015 wurde ein Warnhinweis im Amtsblatt der EU veröffentlicht, der die Anforderungen der Norm für Erdbaumaschinen DIN EN 474-1 hinsichtlich des Sichtfelds des Bedieners für unzureichend erklärt. Seither wurde dieser Sachverhalt den Herstellern und Händlern in Baden-Württemberg (BW) dargelegt und Maßnahmen, über die in der Norm festgelegten Sichtfeldbewertungskriterien hinaus, eingefordert.

Über den zweiten Unfallschwerpunkt – der Gefahr, dass Anbaugeräte der Bagger im Betrieb herabfallen können - wurde die Marktüberwachung (MÜ) 2017 anlässlich eines tödlichen Unfalls in Tübingen informiert: Bei dem Unfallgeschehen wurde ein Bauarbeiter im Kanalbau von einem Baggerlöffel erschlagen. Dies geschah, als ein Stahlträger (Spunddiele) mit dem Baggerlöffel ausgerichtet werden sollte. Dabei löste sich unvermittelt der Baggerlöffel von der Schnellwechseleinrichtung des Baggers.

 

Nach Informationen der BG BAU kam es zwischen 2010 und Mitte 2018 zu acht tödlichen und 45 schweren Unfällen. Die Ursache war laut BG BAU in den meisten Fällen eine fehlerhafte Verriegelung (Quelle:  KANBrief 1/19).

Absturz eines Baggerlöffels - der Unfall wurde für das Foto herbeigeführt

Titel: ABBILDUNG 2: ABSTURZ EINES BAGGERLÖFFELS - Beschreibung: Diese Abbildung zeigt das Herabfallen eines Baggerlöffels nach einer absichtlich mangelhaft eingerichten Veriegelung.

 

Schnellwechseleinrichtungen für Baumaschinen sind Einrichtungen, die an eine Baumaschine (vorwiegend Hydraulikbagger) fest angebaut werden, um dem Maschinenführer einen schnellen Wechsel der Anbaugeräte (z. B. verschiedene Löffel oder hydraulische Brechmeißel) zu ermöglichen. Bei hydraulischen Schnellwechseleinrichtungen ist dies in der Regel ohne Verlassen des Bedienerplatzes möglich.

Entgegen den ersten Untersuchungen des Unfalls in Tübingen durch den Unfallsachverständigen kam die MÜ zum Ergebnis, dass nicht allein die Fahrlässigkeit des Baggerfahrers ursächlich zum Unfall beitrug, sondern die Schnellwechseleinrichtung ebenfalls nicht den Anforderungen der Maschinenrichtlinie entsprach. Diese SWE entsprach zwar der harmonisierten Norm DIN EN 474-1, doch bei näherer Betrachtung mussten die technischen Vorgaben der Norm in Frage gestellt werden. Die Vorgaben der Norm erfüllen nicht die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen aus Anhang I der Maschinenrichtlinie 2006/42/EG, die verbindlich sind.

Vorgehen und Methodik

Bei der Recherche der normativen Anforderungen an SWE wurde offensichtlich, dass verschiedene SWE in der Schweiz ebenfalls durch die dortige MÜ beanstandet wurden und dort mittlerweile wesentliche Einschränkungen hinsichtlich der Bereitstellung auf dem Markt und der Verwendung angeordnet waren.

Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) hatte nach mehreren tödlichen Unfällen im Jahr 2014 gegenüber verschiedenen Herstellern bzw. Händlern ein Verbot des Bereitstellens ab Beginn 2016 angeordnet. Darüber hinaus stellte das Schweizer Bundesgericht bei einem Verfahren als letzte Instanz fest, dass diese Produkte nicht den Anforderungen der Maschinenrichtlinie entsprechen. Die harmonisierte Norm EN 471-1 sei in diesem Bereich unzureichend, urteilte das Schweizer Bundesgericht im Kern.

Nach einer Aufbereitung der Thematik fanden Termine zum fachlichen Austausch sowohl mit der Schweizer SUVA als auch der BG Bau statt, bei denen die Problematik erörtert wurde. Auch wurde ein Austausch mit anderen Bundesländern (Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz) durchgeführt, bei dem die Thematik diskutiert wurde, um ein einheitliches behördliches Vorgehen zu erwirken.

In der Folge fanden Vor-Ort-Prüfungen bei Händlern bzw. Verleihern von Baumaschinen in BW statt. Neben unterschiedlichen Schnellwechseleinrichtungen wurde hier auch das Sichtfeld mit den in Verbindung stehenden Sichthilfsmitteln von mehreren neueren Erdbaumaschinen beurteilt.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Zusammenfassend lässt sich nach den Recherchen und Prüfungen der MÜ festhalten, dass nichtkonforme SWE ein Branchenproblem sind. Generell weist der Markt hier einen sehr heterogenen Sicherheitsstandard auf. Auch innerhalb des Lieferprogramms eines einzelnen Herstellers werden sowohl einfache, häufig nichtkonforme, SWE, als auch sehr komplexe mit Sicherheitssystemen ausgestattete SWE oder Sicherheitssysteme für SWE als Zubehör angeboten.

Nahezu alle Hersteller in BW hatten neben sicheren auch unsichere SWE angeboten.

Als sichere SWE wurden Systeme mit sensorüberwachten Verriegelungen eingestuft. Bei diesen wird im Fahrerhaus die korrekte Verriegelung mittels einer elektronischen Zustandsanzeige angezeigt. Diese Systeme sind auf Grund der erforderlichen konstruktiven Maßnahmen gegen die starken Beanspruchungen der Elektronikbauteile an den Erdbaumaschinen im Bereich der Anbaugeräte sehr teuer. Deshalb wurden solche Systeme überwiegend nur im hochpreisigen Sortiment bei großen SWE angeboten. Da viele SWE auch als auswechselbare Zusatzausrüstung angeboten werden, ist eine Einbindung von Systemen mit Sensoren in das elektronische System eines Baggers nicht ohne weiteres durch SWE-Hersteller, möglich, da diese i.d.R. nicht selbst Hersteller der Baumaschine sind. 

Die Abstimmung mit anderen Bundesländern verlief insofern erfolgreich, als dass auch hier die Notwendigkeit von zeitnahen Maßnahmen durch die MÜ erkannt wurde.

Maßnahmen und Folgerungen

Im weiteren Verlauf der Schwerpunktaktion wurden die Hersteller und Händler in BW zu Maßnahmen aufgefordert, welche teilweise angeordnet werden mussten.

Unabhängig von der Notwendigkeit technischer Maßnahmen wurden alle Hersteller in BW auch zu organisatorischen Maßnahmen aufgefordert. Es mussten die Kunden über die besonderen Gefahren durch eine unzureichende, nicht formschlüssige Verriegelung an der SWE hingewiesen werden. Hier hatten die Hersteller auch auf die Notwendigkeit des sogenannten Gegendrucktests (Abbildung 3) durch den Fahrzeugbediener hinzuweisen.

Symbolbild Gegendrucktest

Abbildung 3: Gegendrucktest (Quelle Schweizerischen Baumeisterverband SBV)

Alle Hersteller kamen dieser Aufforderung hinsichtlich Information der Kunden und Übermittlung der Kundenliste nach.

Ein Hersteller bietet seit April 2019 optional für alle SWE eine Fallsicherungsvorrichtung mittels Fanghaken an. Mit diesen wird die erste Aufnahmeachse des Anbaugerätes im Falle einer unzureichenden Verriegelung mittels beweglicher Fallsicherung so gesichert, dass das Anbaugerät nicht herunterfallen kann.

Ein großer Hersteller in BW war nicht bereit, freiwillig technische Änderungen an seinen SWE vorzunehmen. Folglich wurde hier ein Verwaltungsverfahren eingeleitet und seitens der MÜ BW wurden Maßnahmen angeordnet. Die gewährte Frist wurde auf Mitte 2020 festgesetzt. Hier kam es pandemiebedingt zu Verzögerungen, sodass dem Hersteller eine Fristverlängerung gewährt wurde. Seit Juli 2021 werden durch diesen Hersteller nur noch sichere SWE angeboten. Die durchgeführten technischen Änderungen an den SWE verhindern eine unvollständige Verriegelung und damit ein Herabfallen des Anbaugeräts. Da eine unvollständige Verriegelung nicht möglich ist und das Anbaugerät nicht „halb“ verriegelt angehoben werden kann, sind Sicherungssysteme wie Fanghaken nicht erforderlich.

Von zwei anderen Herstellern aus Baden-Württemberg wurden bereits im Frühjahr 2019 freiwillige technische Entwicklungen auf den Weg gebracht. Diese Firmen wollten ab Anfang 2020 ausschließlich ihre neuen Lösungen anbieten. Pandemiebedingt kam es bei beiden Herstellern ebenfalls zu Verzögerungen bei der Entwicklung und Herstellung der neuen SWE. Nur einer der beiden Hersteller konnte Anfang 2021 die Neuentwicklung abschließen und bringt seither nur noch sichere SWE in Verkehr. Der andere Hersteller hatte erst im Laufe des Jahres 2021 die Produktentwicklung soweit vorangebracht, dass ab 2022 nur noch sichere SWE bereitgestellt werden können. Auch hier sind beide SWE-Systeme so konzipiert, dass keine unvollständige Verriegelung möglich ist. Es kann daher bei diesen Systemen auf Fallsicherungsvorrichtungen wie Fanghaken verzichtet werden. Diese Systeme benötigen auch keine teuren und störanfälligen Überwachungssensoren mit elektronischen Verriegelungsanzeigen im Fahrerhaus des Baggers.

Parallel zu den Forderungen gegenüber den Herstellern wurde durch die MÜ BW ein formeller Einwand gegen die Norm DIN EN 474-1 für Erdbaumaschinen bezgl. der Anforderungen an SWE auf den Weg zur EU-Kommission gebracht, weil offensichtlich war, dass die Nichtübereinstimmung der SWE mit den grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen auf Mängel dieser harmonisierten Norm zurückzuführen war. Dieser Einwand wurde durch die Bundesländer und den Arbeitsausschuss Marktüberwachung (AAMÜ) befürwortet und an das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) zur Weitergabe an die EU-Kommission geleitet.

Erst mit dem - DURCHFÜHRUNGSBESCHLUSS (EU) 2021/1813 DER KOMMISSION vom 14. Oktober 2021 zur Änderung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2019/436 hinsichtlich der harmonisierten Normen für Luftfahrt-Bodengeräte, Krane, Bergbaugeräte und andere Maschinen, zur Unterstützung der Richtlinie 2006/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung des Durchführungsbeschlusses (EU) 2015/27 -  kommt die EU-Kommission zu folgendem Ergebnis:

„Nach Prüfung der Norm EN 474-1:2006+A6:2019 gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass die Norm nicht die grundlegenden Sicherheits- und Gesundheitsschutzanforderungen nach Anhang I Nummern 1.2.2 und 3.2.1 der Richtlinie 2006/42/EG erfüllt, nämlich das Erfordernis der Integration der Sicherheit, und dass der Fahrer die Maschine und ihre Werkzeuge unter den vorhersehbaren Einsatzbedingungen ohne jede Gefahr für sich und andere gefährdete Personen handhaben kann. Die Norm EN 474-1:2006+A6:2019 sollte daher im Amtsblatt der Europäischen Union mit einer Einschränkung für die Fälle, in denen sie in Verbindung mit den Teilen EN 474-4:2006 +A2:2012 Anforderungen für Baggerlader und EN 474-5:2006+A3:2013 Anforderungen für Hydraulikbagger angewandt wird, veröffentlicht werden.“

Mit diesem Beschluss der EU-Kommission müssen nun alle Hersteller im Rahmen Ihrer Konformitätsbewertung bezüglich der SWE die Sicherheit Ihrer Produkte über die Norm-Anforderungen hinaus bewerten. Die sogenannte Konformitätsvermutung durch die oben genannten Normenabschnitte für SWE ist damit durch die EU-Kommission aufgehoben.

 

Parallel zu diesem Normeneinwand wurde eine sogenannte EU-Schutzklauselmeldung erstellt, nach dem einem Hersteller in BW die erforderlichen Maßnahmen angeordnet werden mussten. Eine solche Meldung ist erforderlich, wenn durch die MÜ der freie Warenverkehr eines Produkts eingeschränkt wird und die MÜ der Auffassung ist, dass die Nichtkonformität auch Wirtschaftsakteure anderer Mitgliedstaaten der EU betreffen kann. Dann unterrichtet die MÜ über die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) die EU-Kommission über die Ergebnisse der Beurteilung und die Maßnahmen, zu denen sie den Wirtschaftsakteur aufgefordert hat. Die Kommission prüft diese Meldung, informiert die betreffenden Mitgliedstaaten und löst damit ein EU-weit geltendes Schutzklauselverfahren aus. Zum derzeitigen Stand dieses Verfahrens liegen der MÜ BW keine Informationen vor.

Mit den ersten Zweifeln an der Norm EN 474-1:2006+A6:2019 begann eine Ad hoc - Arbeitsgruppe „Quick couplers“ des CEN (Europäisches Komitee für Normung) mit der Suche nach neuen Lösungen. Bereits im September 2019 gab sie ihren Vorschlag zur Normenänderung bekannt.

Grundsätzlich fordert die Arbeitsgruppe:

Schnellkupplungen müssen so beschaffen sein, dass die Möglichkeit des versehentlichen Herunterfallens, bevor das Schnellwechselsystem bei einer Kupplung richtig eingerastet ist, auf ein Minimum reduziert ist.  Im November 2021 wurden durch diese Arbeitsgruppe folgende Normenteile als Final Drafts der Normenreihe EN 474 (englischsprachige Ausgaben) bekannt gegeben:

 

FprEN 474-1:2021-11 Earth-moving machinery – Safety – Part 1: General requirements

FprEN 474-4:2021-11 Earth-moving machinery – Safety – Part 4: Requirements for backhoe loaders

FprEN 474-5:2021-11 Earth-moving machinery – Safety – Part 5: Requirements for hydraulic excavators

 

Die technischen Änderungen der Hersteller in BW entsprechen nach derzeitigem Kenntnisstand den Lösungsansätzen der jetzigen Normenentwürfe. Das heißt, dass die technischen Entwicklungen der Hersteller in BW der künftigen Norm entsprächen, sofern diese in der jetzigen Vorschlagsversion durch die EU-Kommission angenommen würde.

Als Ergebnis hinsichtlich der Thematik „Sichtfeld an Erdbaumaschinen“ konnte bei mehreren Bereitstellern ermittelt werden, dass der Einsatz von Seitenkameras stetig zunimmt und diese auch serienmäßig in die Ausstattung der Hydraulikbagger übernommen werden. Bezüglich des Sichtfelds von Baumaschinen waren keine Maßnahmen erforderlich, da bei Überprüfungen bei Händlern die Ausstattung der geprüften Maschinen mit Seitenkameras als ausreichend beurteilt wurde.

 

Die Schwerpunktaktion A37 „Baumaschinen“ 2019 -2021 wird mit den letzten Überprüfungen der technischen Änderungen an den SWE der Hersteller in BW Anfang 2022 abgeschlossen. Eine Evaluierung der Prüfschwerpunkte – SWE und Sichtfeld – ist sobald die entsprechenden Normen im europäischen Gesetzblatt veröffentlicht werden, nach einer angemessenen Frist vorgesehen.